Interview Niels-Christian Krüger: „Technologiewandel und Organisationsveränderung müssen Hand in Hand gehen“

Marcel Ramin Derakhchan19. September 2018

Was macht einen Chief Digital Officer (CDO) erfolgreich? Darüber sprachen wir mit Niels-Christian Krüger, Partner und Head of Digital bei goetzpartners

dla: Herr Krüger, ist ein Chief Digital Officer nur dann gut, wenn er sich selbst überflüssig macht?

Niels-Christian Krüger: Der CDO hat vor allem eine Aufgabe zu erfüllen: durch den Einsatz von Technologien die Firma produktiver und damit überlebensfähiger zu machen. Die besondere Herausforderung liegt in der Geschwindigkeit, in der dies heute realisiert werden muss – einer Geschwindigkeit, die um ein Vielfaches höher ist als die Anpassungsfähigkeit der Organisation. Um hier Schritt zu halten, muss der CDO die Organisation agil, aufnahmebereit machen.

Und dazu gehört eben auch, dass sein eigenes Wirken auf ein ganz konkretes Projekt oder eine bestimmte Phase in der Unternehmensentwicklung begrenzt sein kann. Das bringt nach zwei, drei oder fünf Jahren wieder einen neuen Blickwinkel, neue Kompetenzen in die Organisation, die dann für die Produktivität entscheidend sind. „Überflüssig“ wird so ein Manager übrigens ohnehin nicht. Wir werden in Zukunft immer häufiger CDOs sehen, deren Karrierepfade an die Unternehmensspitze führen. Denn immer mehr Unternehmen brauchen CEOs mit digitaler DNA und Führungserfahrung im digitalen Umfeld.

dla: Aus welchen Bereichen rekrutieren die Unternehmen heute ihre CDOs?

Niels-Christian Krüger: In Deutschland sehe ich momentan drei wesentliche, typische CDO-Charaktere: erstens, den internen „Aufsteiger“ aus den technologischen Divisionen der Organisation, insbesondere den CIO oder CTO. Zweitens, als Gegenpart, der „Überraschungskandidat“ – also ein Externer aus einem oft völlig anderem Geschäftsfeld oder sogar einer anderen Branche, der Erfahrung als Manager komplexer Veränderungsprozesse mitbringt. Besonders gefragt ist allerdings der dritte Typus, der „Rising Star“. Das sind Manager, die vor ihrem Karriereschritt zum CDO für Unternehmen mit einer starken digitalen DNA tätig waren, sei es für ein Start-up, eine Agentur oder einen anderen digitalen Disruptor.

dla: Der Rising Star kommt demnach aus einer kulturell und strukturell völlig anderen Art von Unternehmen. Ist er überhaupt anschlussfähig an die Welt großer Corporates? Spricht er deren Sprache?

Niels-Christian Krüger: Zuerst einmal muss sein Background zum Geschäftsmodell und den Zielen des Unternehmens passen. CDOs mit einer Vita aus dem Agenturgeschäft können zum Beispiel die Digitalisierung insbesondere in Richtung Marketing bzw. interne und externe Kommunikation vorantreiben; Manager aus Start-ups und von Plattformanbietern sind meist aufgrund ihrer Technologiekompetenz besonders gefragt.

Die wichtigste Herausforderung beim „Rising Star“ ist in der Tat eine ganz andere: wie machen sie die fehlende Erfahrung in den Strukturen und Prozessen wett, die fehlenden organisationalen Sprachkenntnisse? Denn natürlich birgt die genannte Zuordnung zu konkreten Bereichen wie der IT oder dem Marketing auch die Gefahr, nur in diesem Segment und nicht in der gesamten Unternehmensorganisation Gehör zu finden. Genau dies ist aber in der Regel eine Kernaufgabe des CDO: eine Architektur und eine Roadmap zur Digitalisierung des gesamten Unternehmens zu entwickeln und zu realisieren.

dla: Der Erfolg des CDOs wird letztlich nicht an seinen innovativen Ideen, sondern nach der Wirkung gemessen, die seine Initiativen in der Organisation entfalten. Wie lässt sich sicherstellen, dass die Arbeit des CDOs nicht ins Leere läuft?

Niels-Christian Krüger: Technologiewandel und Organisationsveränderung müssen Hand in Hand gehen. Erreicht der CDO diese Harmonisierung, schafft er Impact. Momentan konzentrieren sich viele Unternehmen darauf, in der technologischen Dimension am Ball zu bleiben. Was schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist. Denn Innovationen bei Künstlicher Intelligenz, Virtual Reality, Plattformarchitekturen und vielen anderen Bereichen vollziehen sich nun einmal in einer ganz anderen Geschwindigkeit als die Entwicklung der meisten Organisationsstrukturen.

Als CDO muss ich also deutlich mehr leisten, als zum Beispiel dafür zu sorgen, dass jeder Abteilungsleiter ein Smartphone mit High-End-Tools in die Hand gedrückt bekommt. Viel wichtiger ist, solche Werkzeuge zuerst nach den vorhandenen Kompetenzen auszuwählen und dann auch sicherzustellen, dass sie sich mit und für die Organisation in Zukunft weiterentwickeln. Erst ab diesem Zeitpunkt befindet sich ein Unternehmen auf einem nachhaltigen Kurs in Sachen Digitalisierung.

dla: Welche Rolle spielt der digitale Reifegrad, den der CDO im Unternehmen vorfindet?

Niels-Christian Krüger: Selbstverständlich fällt die Arbeit des CDOs je nach den Ausgangsbedingungen leichter oder schwerer, mit denen er dort konfrontiert wird. Es gibt Unternehmen, in denen die vielbeschworene „Disruption“ schon seit 15, 20 Jahren zum Alltag gehört – etwa im Einzelhandel oder der Medien- und Unterhaltungsindustrie. Andere Unternehmen wie etwa in der Finanz- und Versicherungswirtschaft spüren diesen Veränderungsdruck erst seit Kurzem. Und natürlich gibt es Organisationen, die nicht im Sinne neuer Kunden bzw. Geschäftsmodelle disruptiv, sondern mit Produktivitätssteigerungen im Wettbewerb erfolgreich sein müssen.

dla: Der CDO muss deshalb die Strategie auf diese individuellen Besonderheiten und Marktbedingungen einstellen…

Niels-Christian Krüger: Genau. Er muss sich aber vor allem fragen: Wie binde ich neue Technologien und Praktiken in den kulturellen und strukturellen Kontext meines Unternehmens gezielt ein? Mir fällt immer wieder auf, dass CDOs dann besonders erfolgreich sind, wenn sie die Innovationskraft und die technologisch-praktische Neugierde gezielt in den Fokus rücken, die gerade für die deutsche Industrie sehr typisch ist – und zwar hierarchieübergreifend. Knüpft man hier an, kann man nachhaltige Wirkungen erzielen – und zwar schnell.

dla: Wie schnell geht ein solcher Wandel vonstatten?

Niels-Christian Krüger: Für die Implementierung der meisten Technologien ist heute ein Zeitfenster von 18 bis 36 Monaten realistisch, abhängig von der Unternehmensgröße und der Bereitschaft der Stabsabteilungen, die geschilderten Veränderungsprozesse aktiv zu unterstützen. Und eine neue Technologie garantiert noch nicht per se ein schnelles Tempo: Cloud Lösungen können zum Beispiel kurzfristig zu ersten Erfolgen führen. Parallel muss aber die Anpassung der Legacy IT sichergestellt sein – was wiederum langfristiger ausgelegt ist und teilweise Modelle wie Shadow IT bzw. eine IT der zwei Geschwindigkeiten beinhaltet. Tempo ist an dieser Stelle nicht der erfolgskritische Faktor, sondern Sorgfalt.

dla: Die IT ist ja nur eine Dimension. Wie verhält es sich auf Organisationsebene?

Niels-Christian Krüger: Ganz ähnlich, unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten sind hier ebenfalls die Regel. Man muss Anreize schaffen, um die Mitarbeiter durch einen programmatischen Ansatz an neue Arbeitsmethoden schnell heranzuführen. Zugleich sollte man einen strategischen Plan zum langfristigen digitalen Organisationswandel definieren.

Technologie fungiert dabei als Enabler, der Themen wie Collaboration oder Effizienzsteigerungen erst ermöglicht. Ziel muss es immer sein, in seinem Bereich das am besten auf den digitalen Wandel vorbereitete Unternehmen zu sein. Das bedeutet, im Endeffekt die Produktivität durch Technologie und Organisationswandel zu erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Interviewpartner

Niels-Christian Krüger ist Partner und Head of Digital bei goetzpartners und berät schwerpunktmäßig zu den Themen Digitalisierung, Innovation und Transformation.

Als Autor veröffentlicht er regelmäßig Artikel, unter anderem zu „The Demystification of Digital“, „The Digital CEO“ und „How to turn your employees into digital partners“. Er war Gründer des „Digital Strategy Day“, einer exklusiven Eventserie in New York.

Vor goetzpartners war Niels-Christian Krüger mehrere Jahre bei Google Cloud in London, Madrid und Sydney tätig.