Open Innovation für Führungskräfte

Marc-David Rompf1. Juni 2019

Große Hoffnungen, geringe Resultate: „Open Innovation“-Experimente versanden in vielen Unternehmen schnell. Der Kardinalfehler liegt darin, Berührungspunkte zur Leadership-Kultur nicht zu nutzen. Doch mit wenigen, einfachen Grundregeln können Führungskräfte Open Innovation zur Erfolgsgeschichte machen.

Wie Unternehmen ihre Führungskultur mit dem Open Innovation Paradigma vereinen.

Teile Deine Ideen mit Jedem, gerade die besonders guten – dann werden am Ende alle davon profitieren. Dieses Credo gibt der Ansatz „Open Innovation“ (OI) für den Wandel von Unternehmensorganisationen und -kulturen vor. Intellectual Property und Spezialistentum? War gestern. Im digitalen Zeitalter entstehen wirtschaftliche Erfolge eben nicht aufgrund, sondern trotz der Abgrenzung von Teams, Abteilungen, Standorten, Wettbewerbern. Je weiter man diese Grenzen auflöst und alles mit Jedem teilt – vom operativen Verbesserungsvorschlag über den kreativen F&E-Output bis hin zum eingetragenen Patent – desto schneller und weitreichender die Erfolgsbilanz. So zumindest in der Theorie.

Update für die Führungskultur

In der Unternehmenspraxis sieht das allerdings etwas anders aus. Dort zündet die Idee von OI nicht wirklich – obwohl sie schon seit immerhin rund zwei Jahrzehnten in Managementseminaren und Universitäten auf dem Lehrplan steht. Und obwohl sie aktuell im Kontext von VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) als adäquater Ansatz gilt, Organisationen durch die Untiefen der digitalen Transformation zu bringen. Kein Wunder, denn schließlich ist eine Menge Mut erforderlich, um dem Wettbewerber das wertvollste Knowhow auf dem Silbertablett zu servieren, richtig?

Mitnichten. Die psychologische Dimension – Mut, Angst, Abschied aus der Komfortzone – ist wichtig, aber nachgeordnet. Wie jede andere (gravierende) Veränderung erfordert dieser Schritt in erster Linie solide Entscheidungskompetenz und Entscheidungen, sei es auf strategischer Ebene für die vorgelebte Marschrichtung oder operativ durch Abteilungs- und Teamleiter. Wer sein Unternehmen tatsächlich nach OI ausrichten will, sollte dies also eng mit der Weiterentwicklung der Führungskultur verzahnen. Neben den Kompetenzen eines „Digital Leader“ (siehe Grafik) sind dabei zwei generelle Perspektiven auf das Thema hilfreich: erstens, was ist kurzfristig erforderlich, damit Führungsstrategie und -stile und OI zueinander passen? Zweitens, welche langfristigen Effekte sind zu berücksichtigen?

Blick auf den Arbeitsplatz: Führungswerkzeuge für Open Innovation arrangieren
Open Innovation verfolgt im Unternehmen in der Regel zwei Zielsetzungen: Erstens, die zu- und abfließenden Wissensströme dazu zu nutzen, eine interne Innovationsentwicklung zu beschleunigen. Zweitens, darüber hinaus die Optionen für die externe Innovationsnutzung zu erweitern. Folgt man diesem OI-Paradigma, das Henry Chesbrough bereits vor ca. 20 Jahren an der Harvard Business School entwickelte, lässt sich OI als Gegensatz zum traditionellen vertikalen Integrationsansatz verstehen, bei dem interne F&E-Aktivitäten zu intern entwickelten Produkten führen, die das Unternehmen dann schließlich vertreibt (1). Dabei sind laut Chesbrough zwei Facetten wichtig: erstens, der Aspekt „outside in“, bei dem Unternehmen externe Ideen und Technologien in den eigenen Innovationsprozess einspeisen. Zweitens, der Aspekt „inside out“. Hier gehen kaum oder gar nicht genutzte Ideen und Technologien des Unternehmens nach außen, um in die Innovationsprozesse Anderer integriert zu werden (2). Dies fasst auch der Leitspruch „Die Welt ist unsere Innovationsabteilung“ treffend zusammen. Doch inwiefern sollten Unternehmen hieran ihre Führungskultur heute ausrichten? Für beide Aspekte gibt es insgesamt sechs Orientierungspunkte, die branchenübergreifend eine erste, konkrete Hilfestellung für eine weitere Eingrenzung der Zielsetzung und Maßnahmen von OI bieten:

Outside-in: Mensch und Technologie sinnvoll verbinden

  • Komplexität reduzieren: Innovationen sind über Nacht weltweit verfügbar und Verbraucherverhalten manifestiert sich in Echtzeit. Das erfordert mehr Flexibilität und Agilität.
  • Empfänglichkeit für Neues: Beharrungsvermögen gewachsener Strukturen nicht unterschätzen; neue Ideen in kleinen Einheiten erproben und die Erfahrungen transparent teilen.
  • Investitionen forcieren: Die Kombination aus innovativer Unternehmenskultur und zeitgemäßen Strategien sorgt für wirkungsvolle Wachstumsimpulse bei Produktivität, Kreativität, Engagement und Zusammenarbeit.

Blick zum Horizont: Tradierte Unternehmenskulturen langfristig verändern

Aber auch aus dem Scheitern von Open Innovation lässt sich viel lernen. Erstaunlicherweise wird ein Kardinalfehler im Umgang mit dieser Idee ebenfalls immer wieder gerne begangen: Manager ignorieren, dass tradierte Kulturen sich nicht in Jahren, sondern Dekaden verändern.

Ein anschauliches Beispiel bietet der Sicherheitsgurt, der uns beim Autofahren schützt. Er ist das Ergebnis einer revolutionären Idee, die der schwedische Ingenieur Nils Bohlin vor sechzig Jahren hatte: Warum nicht die bis dato im Auto üblichen Becken- und Schultergurte zu einer neuen Konstruktion verbinden, die verhindert, das Fahrzeuginsassen bei einem Aufprall aus dem Auto geschleudert werden? Dass der daraus entwickelte Dreipunkt-Sicherheitsgurt bis heute täglich Menschenleben rettet, ist auch der Offenheit von Bohlins damaligem Arbeitgeber Volvo zu verdanken. Denn das Unternehmen machte die Erfindung allen Herstellern zugänglich. Im Rückblick wird bei diesem klassischen OI-Beispiel eine interessante und wichtige Tatsache allerdings meist ausgeblendet: Der Gurt war keine Erfolgsgeschichte aufgrund, sondern trotz der Einstellung der Autofahrer zu ihrer eigenen Sicherheit. Noch bis in die späten 60er-Jahre warb Bohlin in vielen Ländern für sein Produkt, da sich z.B. hartnäckig der Irrglauben hielt, dass man sich bei einem Unfall schon per Muskelkraft im Sitz halten könne. Und auch nach zahlreichen technischen Verbesserungen und Verkehrserziehungsmaßnahmen nahmen in Deutschland viele Insassen das Thema Sicherheitsgurt erst ab 1984 ernst, als das Fahren ohne Gurt erstmalig mit einem Bußgeld bestraft wurde.

Im Unternehmenskontext ist eben dieses Dilemma gut bekannt, wenn OI-Projekte euphorisch starten und dann peu à peu versanden: zu viele Prozessbeteiligte, keine klaren Vorgaben, mangelnde intrinsische Motivation deren, die es am meisten betrifft. Im Sinne einer OI-gerechten Führungskultur sollte man dem mit den folgenden drei Punkten entgegenwirken:

  • Geeignete Rahmenbedingungen schaffen: Um den Wandel aktiv zu gestalten, ist Führung mit einem klaren Fokus auf Ergebnisse notwendig. Dazu muss ein Unternehmen bspw. kundenzentriert denken und Anforderungen der Kunden genau identifizieren.
  • Vertrauen statt Kontrolle: Der Erfolg in der Digitalisierung steht und fällt mit dem Vertrauen der Führungskräfte. Dieses lässt sich durch möglichst viel gedankliche Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit stärken.
  • Kommunikation wird wichtigste Führungsaufgabe: Vor allem die Generationen Y und Z lassen sich in tradierten und in hierarchisch geprägten Systemen kaum motivieren. Das erfordert eine Kultur der direkten Kommunikation auf Augenhöhe.

Natürlich stellt sich der Erfolg von OI nicht über Nacht ein – aber jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Nur wer es schafft, sein Unternehmen wirklich „digital zu denken“, wird auch in Zukunft im globalen Wettbewerb bestehen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass digitale Transformation neben einem technologischen vor allem auch einen kulturellen Wandel voraussetzt. Mit einer Etablierung von OI-Ansätzen im Pflichtenheft der Führungskräfte wird dafür eine wesentliche Grundlage geschaffen.

Quellenangaben
(1) Siehe Blogbeitrag von Henry Chesbrough (Stand: 07.09.2018)
(2) Ebd.

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